Wie Kinder malen oder warum braucht dein Vogel drei Beine?
Kennst du das auch, dass dein Kind mit der Bitte, etwas Bestimmtes zu malen, auf dich zukommt … weil der eigene Versuch nicht gelingen mag, oder es den eigenen Versuch vielleicht erst gar nicht unternimmt? Warum ist das so?
Warum führen manche Kinder lieber Regie beim Gestalten des Malpapiers, statt selbst zu malen?
Kinder malen anders als die meisten Erwachsene das tun. Unser Zeichnen entspricht unserem Wissen, wie Dinge auszusehen haben. Vögel haben Schnäbel, zwei parallel angeordnete Flügel und zwei Beine.
Kinder malen hingegen aus der Perspektive ihrer eigenen Wahrnehmung … so wie sie sich selbst und die Welt wahrnehmen und vorstellen. Anders als Erwachsenenzeichnungen sind Kinderzeichnungen keine Abbildungen, sondern Ausdruck innerer Verarbeitungsprozesse, an denen alle Sinne, Gefühle, das Denken und Erinnern beteiligt sind. So hat der von einem Kind gemalte Vogel vielleicht ein Gesicht mit einem lachendem Mund, zwei hintereinander am Rücken angeordnet Flügel und drei Beine.
Nun neigen wir Erwachsene gerne und mit besten Absichten dazu, unser Wissen, wie die Dinge auszusehen haben, an unsere Kinder weiterzugeben. Wir zeigen ihnen, wie man einen Vogel, ein Haus oder ein Auto malt. Doch unser Vorzeichnen und die damit einhergehende Verbesserung am malerischen Ausdruck des Kindes führt beim Kind zu einer negativen Einschätzung seiner Malfähigkeit. Insbesondere selbstkritische Kinder geben dann schnell das Malen auf, weil sie denken »So kann ich das nicht!«. Sie meiden das Malen oder beauftragen die kompetenteren Erwachsenen und erleben sich in ihren Instruktionen selbstwirksam.
Ähnlich wie das Erlernen der Sprache verlangt auch die Entwicklung der eigenen Bildsprache enorm viel Geduld und Ausdauer. Es braucht viele Erlebnisse, Erfahrungen, Gedanken und Malversuche, bis zum flugfähigen Vogel. Und nicht immer drückt der erste Malversuch aus, was der Kopf ausdrücken will. Doch gelingt dem Kind dieser Prozess durch experimentierendes Malen, so hat es mehr gelernt, als nur einen Vogel zeichnen zu können. Es kann sich malerisch ausdrücken, es hat sich selbstwirksam erlebt und hat es dabei Stück für Stück fein- und grafomotorische Kompetenzen entwickelt.
Wie kann ich meinem Kind beim Entwickeln einer eigenen Bildsprache helfen? Wie kann ich es zum experimentellen Malen animieren?
Zeig Interesse an dem, wie dein Kind die Dinge malt. Es drückt damit aus, wie es die Dinge gerade wahrnimmt, was es über sich und die Welt, die es um gibt, Neues gelernt hat. Statt es beispielsweise darauf hinzuweisen, dass Vögel nur zwei statt der gemalten drei Beine haben, frage, wozu der Vogel drei Beine braucht. Du wirst überrascht sein, was für tolle Antworten du auf diese und ähnliche Fragen erhältst.
Male nichts vor … auch nicht, wenn du von deinem Kind dazu aufgefordert wirst. Versuche stattdessen, dein Kind in seinem Malvorhaben zu unterstützen. Frage, was es malen möchte. Erkundige, was ihm dabei schwer fällt und überlege gemeinsam mit ihm, wie es beginnen könnte. Erzähle ihm, dass auch du einmal klein angefangen hast. Bestärke es darin, so zu malen, wie es ihm gerade möglich ist. Wer nicht kritzelt kann auch nicht malen lernen!
Lobe in der Betrachtung des gemalten Werkes nicht »was« dein Kind gemalt hat, sondern »wie« es gemalt hat. Bestärke es in seiner Anstrengung, Ausdauer, Leidenschaft, Hingabe und vielleicht auch daran, den Mut aufgebracht zu haben, etwas ganz Neues zu Malen.
Und wir? Wir können mit Hilfe der kindlichen Malwerke die Welt mit den Augen unserer Kinder betrachten. Welche tollen Erklärungen und Ausführungen habt ihr von ihnen dazu erhalten? Schreib es gerne in die Kommentare.
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